Der schwere Weg zurück ins Leben

Von Alexandra Flieth
Siebtklässler der Robert-Koch-Schule sprechen mit Anna, die früher einmal drogenabhängig war, über deren Leben. Sie macht den Jugendlichen deutlich, wie schnell man in eine Drogenspirale geraten kann, möchte aufklären und Ansprechpartner sein.



Anna redet mit Schülern über die Gefährlichkeit von Drogen. F: Reuß

Höchst. Anna ist 27 Jahre alt und hat bereits viel erlebt. Sie steht vor der Klasse 7a der Robert-Koch-Schule und berichtet den Schülern über ihre Vergangenheit, die bestimmt war von ihrem eigenen Drogenkonsum, der Gewalt und den Demütigungen, die sie durch ihren Vater erfahren hat sowie durch die Alkoholabhängigkeit ihrer Mutter. Im Alter von 21 Jahren fiel Anna schließlich ins Koma.

Heute hat sie es geschafft der über zehnjährigen Suchtspirale, in der sie sich befand, zu entfliehen. Drei Therapien, zehn Entgiftungen hat es hierfür gebraucht. „Als ich mich entscheiden musste, ob ich leben oder sterben möchte, habe ich mich für das Leben entschieden“, sagt sie. Seit vier Jahren führt die junge Frau ein Leben ohne Drogen und macht im zweiten Jahr eine Ausbildung zur Zerspanungsmechanikerin.

Anna ist nicht ihr richtiger Name. Es ist ein Pseudonym, das sie sich zum eigenen Schutz angelegt hat. Drei bis vier Mal im Jahr geht sie in die Schulen und redet mit den Mädchen und Jungen vor Ort. Kein Verein, keine Institution steht hinter ihr. Sie macht dies aus eigener Motivation heraus, möchte aufklären und Ansprechpartner sein für alle, die in einer schwierigen Situation stecken und nicht wissen, an wen sie sich wenden können. Denn so ging es ihr einst selbst: Als Kind musste Anna mit ihren Ängsten und seelischen Schmerzen alleine klarkommen.

Aufklärung wichtig
Die Jugendlichen dürfen ihr Fragen stellen, so wie jetzt die Schüler der siebten Jahrgangsstufe der Robert-Koch-Schule in der Luciusstraße 2. Anna ist zum zweiten Mal an der Realschule, hat sich den gesamten Vormittag Zeit genommen. Sie besucht jede der drei siebten Klassen für jeweils zwei Schulstunden. Die Mädchen und Jungen sind gut vorbereitet, behandeln das Thema „Sucht“ in den Fächern Biologie und Ethik.

Vor einer Woche haben sie sich einen Film angeschaut, eine Dokumentation mit dem Titel „Kindheit unter Drogen – Annas Weg ins Leben“. Es ist ein zweigeteilter Blick auf das Leben der Protagonistin, die aus einem gut bürgerlichen Elternhaus stammt. Sie lebte im Haus ihrer Eltern, der Vater, ein Akademiker, verdiente gut. Die Regisseurin Dorothee Kaden filmte Anna, als diese 20 Jahre alt war und mittendrin steckte in ihrem durch Drogen bestimmten Alltag. Vier Jahre später blickt Anna auf die einstigen Bilder, die Kamera läuft mit.

Drogenspirale
„Mein Vater schlug mich regelmäßig wegen Kleinigkeiten, etwa wenn ich meinen Teller nicht leergegessen hatte“, erzählt Anna, die noch einen Zwillingsbruder und eine ältere Schwester hat. „Meine Mama trinkt seit 24 Jahren. Sie wird irgendwann daran sterben. Das ist Realität“, schildert sie weiter. „Als Kind schickte sie mich in den Supermarkt, damit ich ihr Alkohol besorgen sollte. Sie gab mir hierfür sogar eine schriftliche Einverständniserklärung mit.“ Heute wisse sie, dass sie durch das Verhalten ihrer Mutter „co-abhängig“ gewesen sei, indem sie ihr den Alkohol besorgt und die Flaschen vor dem Vater versteckt habe. „Heute würde ich niemanden mehr decken“, sagt sie.

Anna griff selbst schon im Alter von neun Jahren zum Alkohol. Über die Jahre folgte die zusätzliche Einnahme von Medikamenten und weiteren Drogen wie Cannabis und später Heroin. „Ich betäubte meinen Schmerz damit“, schildert sie. „Drogen sind wir eine Spirale. Je mehr man nimmt, desto weniger kann man es steuern. Man gerät immer mehr in eine körperliche und psychische Abhängigkeit“, beschreibt sie den Prozess.

Ob sie ihrem Vater die Schuld an ihrer Abhängigkeit gebe, fragt ein Schüler? „Die Drogen habe ich selbst genommen. Es war meine Entscheidung“, antwortet sie. „Das Verhalten meines Vaters hat aber dazu beigetragen, dass ich niemals eine Kindheit hatte. Er trägt damit eine Mitschuld“, so Anna.

„Ich glaube, dass es zahlreiche Kinder gibt, die zu Hause viel Schlimmes erleben“, sagt Anna. Als Kind stünde man dem hilflos gegenüber. Auf die Frage eines Schülers, was sie tun würde, wenn sie noch einmal Kind wäre, sagt sie weiter: „Ich würde versuchen meine Mutter davon zu überzeugen, mit uns wegzugehen. Als kleines Mädchen habe ich mich das nicht getraut, konnte mich auch niemandem anvertrauen.“

Anna ist dankbar dafür, dass sie es geschafft hat und möchte wieder etwas zurückgeben an die Gesellschaft. Sie möchte Betroffene dabei helfen, sich an die richtigen Stellen zu wenden. „Es wäre schön gewesen, wenn mir dies alles erspart geblieben wäre“, betont sie. „Heute bin ich aber soweit, zu sagen, ich mag mich, und kann mir ins Gesicht schauen.“